Ehebedingter Nachteil und Begrenzung des nachehelichen Unterhalts
BGH, Urteil vom 20. 10. 2010 – XII ZR 53/09
Amtliche Leitsätze:
1. Um den ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten und zum Einkommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. erzielen könnte. Die Differenz aus den beiden Positionen ergibt grundsätzlich den ehebedingten Nachteil.
2. Der Unterhaltsberechtigte kann im Einzelfall seiner – sekundären – Darlegungslast genügen, wenn er vorträgt, dass in dem von ihm erlernten Beruf Gehaltssteigerungen in einer bestimmten Höhe mit zunehmender Berufserfahrung bzw. Betriebszugehörigkeit üblich sind.
3. Bei feststehenden Nachteilen ist eine exakte Feststellung zum hypothetisch erzielbaren Einkommen des Unterhaltsberechtigten nicht notwendig. Die Tatsachengerichte können sich bei geeigneter Grundlage einer Schätzung bedienen. Das Gericht muss in der Entscheidung jedoch die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung und ihre Auswertung in objektiv nachprüfbarer Weise angeben.
Der Kl. begehrt die Abänderung eines Urteils über die Zahlung von Aufstockungsunterhalt. Die 1973 geschlossene Ehe der Parteien wurde 2000 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind drei Töchter hervorgegangen, die 1974, 1977 und 1981 geboren sind. Die 1951 geborene Bekl. lernte nach ihrem Schulabschluss den Beruf der Erzieherin und übte diese Tätigkeit bis 1974 aus. Die folgenden 24 Jahre war die Bekl. Hausfrau und Mutter ohne eigene Berufstätigkeit. Von 1998 bis Sommer 2000 arbeitete sie im Bereich der Hausaufgabenbetreuung stundenweise. Im August 2000 nahm sie eine Teilzeitbeschäftigung als Erzieherin auf, die sie im Jahre 2001 auf eine Tätigkeit mit einer 35-Stunden-Woche aufstockte. Aus betriebsbedingten Gründen wurde ihr zum 31. 3. 2007 gekündigt. Vom 1. 4. 2007 bis zum 17. 10. 2007 war sie befristet in Vollzeit als Erzieherin eingestellt. Anschließend arbeitete sie mit einer 87%-Stelle, befristet bis zum 31. 8. 2009.
Die vom Berufungsgericht vorgenommenen Feststellungen rechtfertigen die Ablehnung einer Begrenzung nach § 1578 b BGB nicht. Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig wäre. Bei der Billigkeitsabwägung ist vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Ehe ergeben.
Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs, der die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts bildet, bemisst sich dabei nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Erzielt der Unterhaltsberechtigte eigene Einkünfte, die diesen angemessenen Unterhaltsbedarf erreichen, oder könnte er solche Einkünfte erzielen, kann dies im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach einer Übergangszeit, in der er sich nach gescheiterter Ehe von den ehelichen Lebensverhältnissen auf den Lebensbedarf nach den eigenen Einkünften umstellen kann, zum vollständigen Wegfall des nachehelichen Unterhalts in Form einer Befristung führen. Erzielt der Unterhaltsberechtigte nach einer ehebedingten Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit hingegen lediglich Einkünfte, die den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf nicht erreichen, scheidet eine Befristung des Unterhaltsanspruchs regelmäßig aus. Auch dann kann der Unterhalt nach einer Übergangszeit aber bis auf den ehebedingten Nachteil herabgesetzt werden, der sich aus der Differenz des angemessenen Unterhaltsbedarfs mit dem erzielten oder erzielbaren eigenen Einkommen ergibt, was freilich voraussetzt, dass der eheangemessene Bedarf den angemessenen Lebensbedarf übersteigt.
Um den ehebedingten Nachteil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten und zum Einkommen treffen, das der Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. erzielen könnte. Die Differenz aus den beiden Positionen ergibt den ehebedingten Nachteil.
Der Umstand, dass der Unterhaltsberechtigte eine vollschichtige Tätigkeit in seinem erlernten Beruf ausübt, ist ein Indiz gegen fortdauernde ehebedingte Nachteile. Hat der Unterhaltsschuldner, der die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für eine Begrenzung sprechenden Tatsachen trägt, eine solche Beschäftigung behauptet, trifft daher den Unterhaltsberechtigten die so genannte sekundäre Darlegungslast. Er muss die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substanziiert bestreiten und seinerseits darlegen, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden.
Der vom Berufungsgericht gezogene Schluss, die nunmehr eingetretene unsichere Beschäftigungslage seitens der Bekl. sei Folge der während der Ehe eingelegten Berufspause, ist nicht zwingend. Denn immerhin hat die Bekl. nach der Ehescheidung rund sieben Jahre in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gearbeitet. Zu Recht rügt die Revision, dass die Bekl. dem Risiko einer betriebsbedingten Kündigung auch ausgesetzt gewesen wäre, wenn sie durchgehend gearbeitet hätte.
Bei einem behaupteten beruflichen Aufstieg muss der Unterhaltsberechtigte darlegen, auf Grund welcher Umstände (wie etwa Fortbildungsbereitschaft, bestimmte Befähigungen, Neigungen Talente etc.) er eine entsprechende Karriere gemacht hätte. Für die Billigkeitsbetrachtung wird es dann in der Regel genügen, wenn das ungefähre Ausmaß der Einbuße feststeht.
Anmerkung:
1. Bei zeitlicher Begrenzung ist wie bei Herabsetzung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt im Rahmen der Billigkeits-Prüfung des Gerichts zu fragen, ob durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen (angemessenen) Unterhalt zu sorgen.
2. Die Höhe der erzielbaren Einkünfte des Berechtigten hat Auswirkungen in mehrfacher Hinsicht:
- sofern die Einkünfte den angemessenen Unterhaltsbedarf erreichen, ist eine Befristung vorzunehmen, nach Ablauf der Frist entfällt die Unterhaltspflicht vollständig;
- liegen die Einkünfte darunter, scheidet eine Befristung regelmäßig aus; es kommt aber (nach Ablauf einer Übergangszeit) eine Herabsetzung des Anspruchs bis auf den ehebedingten Nachteil in Betracht.
Wie dieser der Höhe nach zu bemessen ist, wird vom BGH jetzt näher erläutert. Der Tatrichter muss Feststellungen zum angemessenen Lebensbedarf des Berechtigten treffen und anschließend ermitteln, welche Einkünfte tatsächlich erzielt werden bzw. erzielt werden könnten; die Differenz aus beiden Positionen ergibt den ehebedingten Nachteil. Abzustellen ist auf die konkrete Lebenssituation des Berechtigten, beispielsweise beim Krankheitsunterhalt nur auf das Einkommen, welches der (kranke) Berechtigte ohne Ehe und Kinder zur Verfügung hätte, wobei das Existenzminimum erreicht sein muss.
3. Günstig für den Berechtigten ist der Umstand, dass bei Vorliegen eines ehebedingten Nachteils exakte Feststellungen zum hypothetisch erzielbaren Einkommen des Berechtigten nicht notwendig sind. Vielmehr kann bei geeigneter Grundlage geschätzt werden, konkret dadurch, dass auf das ungefähre Ausmaß der ehebedingten Einbuße abgestellt wird.
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Schlagwörter: Befristung, Begrenzung, Beweislast, BGH, Familienrecht, Unterhalt