Einschreiten des Familiengerichts bei Schulverweigerung

08Dez21

Beschluss des OLG Bamberg vom 22.11.2021, Az. 2 UF 220/20

Leitsätze:

1. §§ 1666, 1666a BGB ermöglichen lediglich ein staatliches Einschreiten zur Abwehr einer konkreten Kindeswohlgefährdung, nicht die Durchsetzung einer bestmöglichen Förderung des jeweils betroffenen Kindes.

2. Im Falle eine Schulverweigerung kann nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, sondern alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalls sind zu ermitteln und hinsichtlich einer konkreten Kindeswohlgefährdung zu bewerten. Allgemeine Erwägungen reichen zur Begründung einer konkreten und erheblichen Gefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB nicht aus.

3. Für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen ist nicht Aufgabe des Familiengerichts. Vielmehr stehen der Schulbehörde hierfür die sich aus Art. 118, 119 i.V.m. Art. 35 BayEUG ergebenden Maßnahmen zur Verfügung, die von dieser in eigener Zuständigkeit zu prüfen sind.

Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB liegt nur dann vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt. An den Grad der Wahrscheinlichkeit dieser Gefährdung sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist. Für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind konkrete Verdachtsmomente erforderlich. Eine abstrakte Gefährdung reicht nicht aus. Weiter muss die Gefährdung nachhaltig und schwerwiegend sein.

Zwar kann es einen Missbrauch der elterlichen Sorge darstellen, der das Wohl des Kindes nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB erfordert, wenn Eltern sich beharrlich weigern, ihre Kinder einer öffentlichen Schule oder anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um sie stattdessen zu Hause zu unterrichten (vgl. BGH, 17.10.2007, XII ZB 42/07, FamRZ 2008, 45, Juris Leitsatz). Im Falle eine Schulverweigerung kann jedoch nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, sondern alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalls sind zu ermitteln und hinsichtlich einer konkreten Kindeswohlgefährdung zu bewerten (vgl. OLG Celle, 27.07.2020, 21 UF 190/19, FamRZ 2021, 427, Juris Rn 23).

Die im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten haben bezüglich des betroffenen Kindes keine psychopathologischen Auffälligkeiten ergeben. Solch allgemeinen Erwägungen, dass nach Auffassung des Sachverständigen präventiv gehandelt werden müsse, reichen zur Begründung einer konkreten und erheblichen Gefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB nicht aus. Im konkreten Fall konnte das OLG nach persönlicher Anhörung des Kindes feststellen: „Neben der Wissensvermittlung durch den Heimunterricht zumindest in den Grundlagenfächern ist damit auch die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes im Hinblick auf eine spätere selbstbestimmte Lebensführung als Mitglied der Gesellschaft in einem Umfang gewährleistet, der ein Einschreiten nach §§ 1666, 1666a BGB nicht zulässt. Die vom Kind geäußerte Vorstellung, als externer Kandidat die mittlere Reife abzulegen als Grundlage für eine spätere Berufsausbildung, erscheint damit nicht unrealistisch, zumal das Kind über die hierfür erforderliche intellektuelle Ausstattung nach den vorliegenden Gutachten verfügt und die Schulordnungen für Realschulen und Mittelschulen in Bayern Abschlüsse für externe Bewerber ermöglichen, vgl. § 33 MSO und § 46 RSO.“

Allerdings kann nach Auffassung des OLG eine bestmögliche Förderung des Kindes nur durch eine staatliche Schule oder anerkannte Ersatzschule gewährleistet werden. Dies fällt jedoch in den Verantwortungsbereich der Eltern, solange die Grenze zur Kindeswohlgefährdung nicht überschritten ist.

Für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen ist nicht Aufgabe des Familiengerichts.



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