VerbrRRL-UG
Das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung (VerbrRRL-UG) hat mit Wirkung vom 13.6.2014 die §§ 355 bis 361 umfassend neu geregelt. Die umzusetzende europäische Verbraucherrechterichtlinie RL 2011/83/EU vom 25.10.2011 (VerbrRRL), die die HaustürwiderrufsRL und die FernabsatzRL zusammenführt und ersetzt, will ein gleichmäßig hohes Verbraucherschutzniveau in der gesamten EU erreichen, was eine Abkehr vom Mindestharmonisierungsansatz der Vorgängerrichtlinien hin zu einem Vollharmonisierungsansatz bedingt, der es den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht erlaubt, strengere oder weniger strenge Verbraucherschutzvorschriften vorzusehen. Regelungsgegenstand der VerbrRRL sind Haustürgeschäfte (jetzt „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge“ genannt) und Fernabsatzverträge, dazu der Verbrauchsgüterkauf, nicht aber Verbraucherkredit- oder Finanzdienstleistungen-Fernabsatzrecht. Der deutsche Gesetzgeber hat sich allerdings bei der Umsetzung zum Ziel gesetzt, richtlinienspezifische Einzelregelungen, namentlich zum Widerrufsrecht und seinen Rechtsfolgen in ein Gesamtkonzept verbraucherprivatrechtlicher Vorschriften zu überführen, das auch Finanzdienstleistungen und den Verbraucherkredit erfasst. Die Regelungen zum Widerrufsrecht sind in §§ 355 bis 356c zusammengefasst, die Abwicklung in §§ 357 bis 357c, Vorschriften zum verbundenen Geschäft sind in §§ 358 bis 360 enthalten nebst übergreifenden Bestimmungen in § 361.
Als Blankettnorm gelangt §355 nur zur Anwendung, soweit dem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt wird. Geschehen ist dies durch § 312g Abs 1 (außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge), § 485 Abs 1 (Teilzeit-Wohnrechteverträge), § 495 Abs 1 (Verbraucherdarlehensverträge), § 510 Abs 1 (Ratenlieferungsverträge) und § 4 Abs 1 S 1 FernUSG.
Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 zu.
Die Anordnung, dass dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zusteht, enthält Abs 1 . Jetzt kommt es – gleichgültig ob Kauf-, Dienst- oder Werkvertrag – nur noch darauf an, dass der Vertrag bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers außerhalb der Geschäftsräume geschlossen (Anm.: es genügt sich wohl angebahnt, siehe unten) wurde. Das gilt abweichend vom früheren Recht auch dann, wenn der Verbraucher den Unternehmer zu sich nach Hause bestellt hat oder anderweitig die Initiative zum Abschluss des Vertrages außerhalb der Geschäftsräume ergriffen hat.
Der hinter der Regelung stehende Gedanke bleibt jedoch derselbe: Der Verbraucher soll vor nachteilhaften Verträgen bewahrt werden, die er unter psychischem Druck oder in einem Überraschungsmoment abgeschlossen hat, in einer Situation also, in der er sich nicht unbeeinflusst entscheiden konnte. Begriffsbestimmung der Außergeschäftsraumverträge erfolgt negativ durch die Definition der Geschäftsräume, wobei VRRL und Gesetz (§ BGB § 312 b Absatz 2 S. 1 BGB) gleichermaßen differenzieren:
aa) Unbewegliche Gewerberäume:
Geschäftsräume sind einmal unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, beispielsweise sein eigenes Ladengeschäft. Es kann sich dabei auch um ein saisonales Geschäft handeln, sofern der Unternehmer sein Gewerbe dort üblicherweise betreibt. Eine Eisdiele etwa kann wirtschaftlich sinnvoll nur im Sommer betrieben werden.
bb) Bewegliche Gewerberäume:
Geschäftsräume sind daneben auch bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt, beispielsweise ein Verkaufswagen, ein Messe- oder Marktstand. Mit Rücksicht auf den Zweck der VRRL, den Verbraucher vor „unliebsamen Überraschungen“ zu schützen, sind hier allerdings nur die regulären Stände gemeint, an denen die für die betreffende Veranstaltung jeweils „typischen Waren“ angeboten werden (zB Uhren auf der Uhrenmesse oder Fische auf dem Fischmarkt), nicht jedoch andere Dinge, die mit dem eigentlichen „Motto“ der Veranstaltung nichts zu tun haben.
Beispiel: Gleichgültig, ob man eine Spielwaren-, Computer- oder Automobilmesse in Tübingen oder Tokyo besucht, findet sich irgendwo in einer versteckten Ecke der immer gleich aussehende kleine Stand, an dem ein Experte dem stets staunenden Publikum einen „Superklebstoff“ vorführt, von dem bereits ein stecknadelkopfgroßer Tropfen genügt, um eine Dampfwalze an einem menschlichen Haar aufzuhängen.
cc) Keine Geschäftsräume
Nicht als Geschäftsräume einzuordnen sind alle öffentlich zugänglichen Räume wie Straßen, Einkaufszentren, Strände oder Verkehrsmittel ebenso wie Privatwohnungen, Arbeitsplätze oder Gewerberäume Dritter, an denen der Unternehmer nur ausnahmsweise gewerblich tätig wird. Diese Räume sind folglich der „typische Schauplatz“ für Außergeschäftsraumverträge.
Also: Verbraucher und Unternehmer treffen sich außerhalb eines Geschäftsraums und schließen dort einen Verbrauchervertrag ab (§ BGB § 312 b Absatz 1 S. 1 Nr. 1 BGB) bzw. der Verbraucher gibt dort zumindest sein bindendes Angebot (vgl. § 145 BGB) ab (Nr. 2). Da es vorrangig auf das Überraschungsmoment bei der Willensbildung des Verbrauchers ankommt und nicht bei der späteren Äußerung des bereits zuvor gefassten Entschlusses, werden auch Situationen erfasst, in denen der Verbraucher den Vertrag zwar „in Ruhe“ in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder mittels eigenem Telefonanruf etc. abgeschlossen hat, in denen dieses Verhalten aber gerade auf einer (eben überraschenden) direkten Ansprache des Unternehmers unmittelbar zuvor außerhalb seiner Geschäftsräume beruht (§ BGB § 312 b Absatz 1 S. 1 Nr. 3 BGB). Ohne einen engen zeitlichen Zusammenhang fehlt es freilich an der Überrumpelung, denn je mehr Zeit der Verbraucher hatte, seinen beabsichtigten Vertragsabschluss zu überdenken, umso weniger steht er bei seiner finalen Willensäußerung noch unter dem Einfluss des Unternehmers.
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