OLG Hamm zur Strafbarkeit progressiver Kundenwerbung
Leitsatz: Verbraucher im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG in Verbindung mit §§ 2 Abs. 2 UWG, 13 BGB ist nur jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr zu privaten und damit zu Zwecken handelt, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen sind. Privat ist alles, was dem privaten Konsum oder der sonstigen individuellen Bedarfsdeckung und der persönlichen Daseinsvorsorge dient. Nur diese Gruppe bedarf des besonderen Schutzes des UWG, da sie im Vergleich zu den beruflich oder gewerblich handelnden Vertragspartnern als wirtschaftlich schwächer und weniger erfahren anzusehen ist.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde durch Beschluss des Amtsgerichts ein dinglicher Arrest in das Vermögen der F. angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die F. betreibe ein dem § 16 Abs. 2 UWG unterfallendes sogenanntes Schneeballsystem. Auf regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen mache sie Interessenten mit dem System vertraut. Diese sollten Starterpakete erwerben und animiert werden, selbst neue Teilnehmer zu gewinnen, die wiederum neue Mitglieder anwerben sollten. Durch dieses Schneeballsystem sei es gelungen, innerhalb kürzester Zeit Umsätze in einer Gesamthöhe von 2.399.638,10 € zu generieren. Auch das Landgericht (Beschwerdegericht) ging wegen der „explosionsartigen“ Zunahme von Vertriebspartnern von einem Schneeballsystem aus und stellte u.a. auf die Provisionszahlungen bis über die fünfte Ebene hinaus ab. Erst das Oberlandesgericht hat auf die weitere Beschwerde hin die vorherigen Beschlüsse aufgehoben, da der Beschuldigte einer Straftat nach § 16 Abs. 2 UWG nicht hinreichend verdächtig sei.
Nach § 16 Abs. 2 UWG, der im Zuge der UWG-Reform 2004 eingeführt wurde und seit dem 08.07.04 gültig ist, macht sich strafbar, wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen.
Nach § 2 Abs. 2 UWG gilt für den wettbewerbsrechtlichen Verbraucherbegriff der § 13 BGB entsprechend, wonach Verbraucher jede natürliche Person ist , die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, das weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Dieser Verbraucherbegriff geht auf Artikel 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (- Fernabsatzrichtlinie -) zurück und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Ziel der Richtlinie war es, den Verbraucher vor irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden im Fernabsatz zu schützen. In Artikel 2 Abs. 2 der Fernabsatzrichtlinie ist Verbraucher als jede natürliche Person definiert, die beim Abschluss von Verträgen zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.
Auch die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.05.05 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern ist für die Auslegung des UWG von besonderer Bedeutung. Gemäß Artikel 19 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sollten die Mitgliedsstaaten die Richtlinie rechtzeitig in innerstaatliches Recht umsetzen und ab dem 12.12.07 anwenden. Da Deutschland dem noch nicht nachgekommen ist, ist seitdem das derzeit geltende UWG entsprechend der genannten Richtlinie auszulegen. Nach Artikel 2 lit. a) ist Verbraucher jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Wie sich aus den Regelungen zu Artikel 5 bis 8 der Richtlinie ergibt, soll sie den Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken schützen, die seine Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit beeinträchtigen und ihn dazu veranlassen können, geschäftliche Entscheidungen zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Ihre Zielrichtung ist es, den Verbraucher besonders zu schützen, weil er gegenüber seinem beruflich oder gewerblich handelnden Kontrahenten wirtschaftlich schwächer oder weniger erfahren ist. Unter Berücksichtigung des besonderen Schutzzwecks ist der gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherbegriff eng auszulegen. Darunter fallen also lediglich Endverbraucher, die ausschließlich zu privaten Zwecken im Geschäftsverkehr auftreten. Privat ist alles, was dem privaten Konsum oder der sonstigen individuellen Bedarfsdeckung und der persönlichen Daseinsvorsorge dient. Diese Gruppe bedarf des besonderen Schutzes, da sie im Vergleich zu den beruflich oder gewerblich handelnden Vertragspartnern als wirtschaftlich schwächer und weniger erfahren angesehen wird.
Unter diesen engen Verbraucherbegriff fallen nach Ansicht des Senates die durch die F. E. N. akquirierten Erstinteressenten aber nicht, selbst wenn es nach dem Geschäftsmodell möglich und erwünscht ist, durch den Abschluss des Partnervertrages lediglich die Hosen des Starter-Pakets für den Eigenbedarf zu erwerben, andererseits aber weitere Interessenten zu werben, um Provisionszahlungen zu erhalten. In diesem Fall handeln die Erstinteressenten sowohl zu einem privaten Zweck, als auch zu einem gewerblichen bzw. selbstständig beruflichen Zweck und fallen damit nicht mehr unter den engen wettbewerbsrechtlichen Verbraucherbegriff. Dies ergibt sich aus dem gemeinschaftsrechtlichen Verständnis des Verbraucherbegriffs bei Verträgen mit doppeltem Zweck.
Nach dem intendierten Geschäftsmodell der F. verfolgen die Erstinteressen mit dem Abschluss des Partnervertrages im Regelfall nicht lediglich nebensächliche und ganz untergeordnete gewerbliche oder selbstständige berufliche Zwecke . Sie sollen u.a. durch die Anwerbung weiterer Interessenten ein „Team“ aufbauen, auf dessen Umsätze sie Provisionszahlungen erhalten. Das Geschäftsmodell der F. ist darauf ausgelegt, dass der Erstinteressent sich mit Abschluss des Partnervertrages ein selbstständiges Gewerbe aufbaut. Dadurch erhalten die Erstinteressenten den Status von Existenzgründern. Das sind natürliche Personen, die zum Zwecke der Vorbereitung und Aufnahme einer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit handeln. Diese fallen gerade nicht unter den engen Verbraucherbegriff des § 16 Abs. 2 UWG in Verbindung mit §§ 2 Abs. 2 UWG, 13 BGB. Der Umstand, dass der Zweck des Handelns nicht auf eine bereits bestehende, sondern erst zukünftige berufliche oder gewerbliche Tätigkeit gerichtet ist, ändert nichts an ihrer beruflichen oder gewerblichen Natur.
Durch die Entscheidung, den Begriff des Nichtkaufmanns aus § 6 c UWG alte Fassung gegen den des Verbrauchers in § 16 Abs. 2 UWG zu ersetzen, hat der Gesetzgeber eine Einengung der Strafbarkeit progressiver Kundenwerbung bewusst in Kauf genommen. Wie bereits ausgeführt, hat er nur dem Verbraucher gegenüber ein „erhebliches Gefährdungspotential“ gesehen.
Ob möglicherweise Bedenken wettbewerbsrechtlicher Art ohne strafrechtliche Relevanz gegen das von F. praktizierte Vertriebssystem gegeben sind, hatte der (Straf-)Senat nicht entschieden. Allerdings fänden sich seiner Ansicht nach Anhaltspunkte dafür, dass es sich um ein System handeln könnte, das Merkmale eines sogenannten Schneeballsystems, eventuell in Kombination mit Merkmalen sogenannter Pyramidensysteme, in abgewandelter Ausprägung aufweist. Solche Systeme sind in unterschiedlicher Ausgestaltung in der Rechtsprechung überwiegend als unlauter angesehen worden (u.a. vom BGH im sog. Kaffeevertriebsfall, in dem jeder Kunde für die Anwerbung eines neuen Kunden einen Preisnachlass von 20% erhielt, so dass sich der Kaufpreis bei fünf angeworbenen Kunden amortisierte und im Fall des OLG Hamburg beim Anwerben neuer Berater, die die Produkte über den Anwerber beziehen, mit Möglichkeit umsatzabhängiger Sonderzahlungen nach einem Punktesystem sowie im Fall des OLG München beim Warenverkauf durch selbstständige Kommissionäre im Direktvertrieb an Endkunden und Anwerbung neuer Teilnehmer mit Möglichkeit von Sonderzahlungen auf deren Umsätze und im Fall des LG Hamburg beim Direktvertrieb durch Kunden, die zur monatlichen Mindestabnahme verpflichtet sind und die Möglichkeit haben, auf das Anwerben neuer Teilnehmer Sonderzahlungen im Sinne sogenannter Kopfprämien zu erhalten).
Die ganze Entscheidung des OLG Hamm v. 09.12.08 zu Az. 2 Ws 312/08 ist hier nachzulesen.
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