Schadensersatz wegen Verletzung auf dem Pausenhof
BGH, Urteil v. 30.03.2004 – AZ. VI ZR 163/03
Die Parteien sind Schüler eines Gymnasiums. Sie streiten über die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Schadensersatz wegen einer Körperverletzung zu leisten. Am 12. Januar 2000 hielten sich die Parteien und weitere Schüler während einer Unterrichtspause auf dem Schulhof auf. Der damals 13jährige Beklagte zündete einen Feuerwerkskörper und warf ihn in Richtung einer Gruppe von Schülern. Der Feuerwerkskörper detonierte in der Nähe der Klägerin. Diese begab sich unmittelbar im Anschluss daran in ärztliche Behandlung bei einem HNO-Arzt wegen Beeinträch- tigung ihres Gehörs. Der Beklagte verteidigt sich damit, er habe die Klägerin nicht verletzen, sondern eine andere Gruppe von Mädchen erschrecken wollen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg, ebenso wenig wie die Revision.
Nach den §§ 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 106 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII ist ein Schüler einer allgemeinbildenden Schule, der während des Schulbesuchs einen Schulunfall verursacht, indem er einen Mitschüler verletzt, nur dann zum Ersatz des Personenschadens nach dem Recht der uner- laubten Handlung (§§ 823 ff. BGB) verpflichtet, wenn er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Dann muss sich ein Vorsatz, der zu einer Entsperrung des Haftungsausschlusses führen kann allerdings auch auf eine ernsthafte Verletzungs- folge erstrecken. Also haftet der Schädiger dem geschädigten Mitschüler gegenüber auch nach der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch nur, wenn sein Vorsatz auch den Eintritt eines ernstlichen Personenschadens umfaßt hat (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 2003 – VI ZR 34/02 – BGHZ 154, 11; vgl. auch BAG, VersR 2003, 740, 741).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist, wenn ein Schüler einen anderen körperlich verletzt, für seine Befreiung von der Haftung darauf abzustellen, ob die Verletzungshandlung „schulbezogen“ war, d.h. ob sie auf der typischen Gefährdung aus engem schulischen Kontakt beruht und deshalb einen inneren Bezug zum Besuch der Schule aufweist oder ob sie nur „bei Gelegenheit“ des Schulbesuchs erfolgt ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 67, 279, 281 ff.; vom 10. März 1987 – VI ZR 123/86 – VersR 1987, 781, 782; vom 14. Juli 1987 – VI ZR 18/87 – VersR 1988, 167 f. und vom 28. April 1992 – VI ZR 284/91 – VersR 1992, 854, 855). Schulbezogen im Sinne dieser Rechtsprechung sind insbesondere Verletzungshandlungen, die aus Spielereien, Neckereien und Raufereien unter den Schülern hervorgegangen sind, ebenso Verletzungen, die in Neugier, Sensationslust und dem Wunsch, den Schulkameraden zu imponieren, ihre Erklärung finden; dasselbe gilt für Verletzungshandlungen, die auf übermütigen und bedenkenlosen Verhaltensweisen in einer Phase der allgemeinen Lockerung der Disziplin – insbesondere in den Pausen oder auf Klassen- fahrten oder nach Beendigung des Unterrichts oder während der Abwesenheit der Aufsichtspersonen – beruhen (vgl. Senatsurteile BGHZ 67, 279, 282 f.; vom 28. Februar 1978 – VI ZR 91/77 – VersR 1978, 441; vom 10. März 1987 – VI ZR 123/86 – aaO und vom 14. Juli 1987 – VI ZR 18/87 – aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. April 1981 – III ZR 47/80 – VersR 1981, 849, 850). Mit Blick darauf, daß der Haftungs- ausschluß bei Schulunfällen dazu bestimmt ist, den Schulfrieden und das ungestörte Zusammenleben von Lehrern und Schülern in der Schule zu gewährleisten, erscheint es geboten, das Haftungsprivileg nicht eng auszulegen (vgl. Senatsurteile vom 20. November 1979 – VI ZR 238/78 – VersR 1980, 164, 165; vom 14. Juli 1987 – VI ZR 18/87 – aaO, 168 und vom 28. April 1992 – VI ZR 284/91 – aaO). Die innere schulische Verbundenheit von Schädiger und Verletztem, die in dem Unfall zum Ausdruck kommen muß, erfordert allerdings stets, daß die konkrete Verletzungshandlung durch die Besonderheiten des Schulbetriebs geprägt wird, was in der Regel eine engere räumliche und zeitliche Nähe zu dem organisierten Betrieb der Schule voraussetzt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1992 – VI ZR 284/91 – aaO).
Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze beachtet und ohne Rechtsfehler auf den vorliegenden Fall angewendet. Seine Wertung, die konkrete Verletzungshandlung sei durch den Schulbetrieb geprägt und demgemäß schulbezogen gewesen, war nicht zu beanstanden. Dafür spricht schon maßgeblich der Umstand, daß sich der Vorfall während einer Unterrichtspause auf dem Schulhof ereignete und somit eine enge räumliche und zeitliche Nähe zu dem organisierten Betrieb der Schule bestand. Aber auch gegen die tatrichterliche Würdigung, das Verhalten des Beklagten sei durch die Übermütigkeit zu erklären, die Schüler während der Pausen auf dem Schulhof zeigten, und durch den Wunsch, seinen Mitschülern zu imponieren, ist revisions- rechtlich nichts zu erinnern. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tat- richters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Entgegen der Rüge der Revision ist insoweit ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht zu erkennen; die Würdigung des Berufungs- gerichts entspricht vielmehr der Lebenserfahrung und den Überlegungen, die der oben dargestellten Rechtsprechung des erkennenden Senats zugrunde liegen.
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